Die bunte Stadt: So bezeichnet sich Wernigerode selbst. Zu recht. Denn die Stadt am nördlichen Rand des Ostharzes ist bunt. Weil geschichtsträchtig und interessant.
Im Landkreis Harz (Sachsen-Anhalt) liegt am nördlichen Harzrand Wernigerode. Die Geschichte der früheren Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises (bis 2007) reicht zurück bis ins Jahr 900. Damals rodeten Benediktiner den Wald am „Klint“, womit die Stadt zu ihrem Namenszusatz „rode“ kam. Jene Siedlungsrodung gilt heute als Gründung des Ortes.
Der Ort war jedenfalls gut gewählt. Denn am Klint verliefen gleich wichtige zwei Handelsstraßen. Die von Goslar nach Quedlinburg sowie die von Braunschweig nach Erfurt. Das lockte Kaufleute und Handwerker. Kaiser Heinrich V. (1081/1086 – 1125) belehnte außerdem Graf Adelbert von Haimar (bei Hildesheim) mit dem Land. So nannte sich dieser fortan Adelbert von Wernigerode und baute 1110 bis 1120 die Burg auf dem Agnesberg. Adalbert war es zudem, der dem Ort 1121 als „Comes de Wernigerode“ die erste urkundliche Erwähnung einbrachte. Die Burg selbst taucht erstmals 1213 als Castrum Wernigerode in einer Urkunde auf.
Erst die Siedlung, dann die Burg
Die einzige ihre Art war die Burg allerdings nicht. Am Klint (nahe dem heutigen Marktplatz) gab es mit der Snakenburg (Schnakenburg) eine weitere Festung. Jene Niederungsburg fand erstmals 1265 Erwähnung. Die letzten Reste wurden 1805 abgebrochen. Ein Teil jener Snakenburg steht sogar bis heute: als Haus Gadenstedt (Oberpfarrkirchhof 13). Quasi das Zentrum des frühen Wernigerode. Dieses bestand um 1100 übrigens nur aus dem Grafenhof und fünf Ritterhöfen. Sowie der St.-Sylvestri-Kirche, die damals noch dem Heiligen Georg geweiht war.
Schon um 1200 erhielt Wernigerode das Münzrecht. 1229 außerdem – nach dem Vorbild von Goslar – das Stadtrecht. Außerdem wurde der Ort um die Hauptachsen Breite Straße sowie Burgstraße erweitert. Ab 1265 diente die Sylvestrikirche als Grablege der Grafenfamilie. Entsprechend erhoben die Stadtoberen die St-Marien-Kirche bzw. Frauenkirche zur Pfarrkirche. Parallel baute man die Nicolaikirche, die man allerdings 1873 wegen Baufälligkeit abriss. An die Kirche erinnert heute der Nicolaiplatz, von den Wernigerödern kurz Nico genannt.
Die Geschicke der Stadt bestimmten jedenfalls die Grafen. Ab 1279 gab es einen Stadtrat, ab 1324 Stadtvögte (= Stadtrichter), ab 1388 schließlich einen Bürgermeister. Gesichert war der Ort ab dem 12. Jahrhundert von einem Wall, ab dem 13. Jahrhundert von einer Stadtmauer. Diese hatte zuletzt vier Stadttore und rund 20 Türme. Erhalten von diesen ist jedoch nur das Westerntor.
1429 ging die Grafschaft an die Stolberger
Über jenes Tor kam die „Fernverkehrsstraße“ von Ilsenburg in die Stadt. Über Westernstraße und Breite Straße führte diese wieder aus Wernigerode hinaus. Jene Straße ist der Grund, warum ihr heute hier den Marktplatz sowie das Rathaus findet. Von Nord nach Süd verlief wiederum der berühmte Trockweg. Dieser führte von Braunschweig über die Kaiserpfalz Bodfeld und den Harz gen Nordhausen. Dem Weg folgte zudem der Pilgerweg Via Romea, den erstmals Abt Albert von Stade 1236 beschrieb.
Um 1270 bildete sich außerhalb der Stadtmauern eine neue Siedlung, die Neustadt. Diese war bis 1529 komplett von der Altstadt getrennt. Bis dahin besaß die Neustadt einen eigenen Markt, eine eigene Pfarrkirche (Johanniskirche) sowie eine eigene Stadtmauer und einen eigenen Stadtrat. Allerdings war dieser wie der Rat der Altstadt vom Grafen abhängig.
1429 starb mit Heinrich der letzte Graf von Wernigerode. Dank Erbvertrag fielen Grafschaft und Burg an die Grafen von Stolberg, die fortan regierten. Im Bauernkrieg (1524 – 1526) kam es rund um Wernigerode zu bösen Verwüstungen. So wurde zum Beispiel das Kloster Himmelpforten dem Erdboden gleichgemacht.
Reformation, Hexenprozesse, Dreißigjährige Krieg
Nach Graf Bothos Tod 1538 kam in Wernigerode die Reformation auf. Dennoch wurden in den 1580ern mindestens 14 Menschen der Hexerei bezichtigt und zum Feuertod verurteilt. Im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) wurde Wernigerode geplündert. Trotzdem gedieh die Stadt am nördlichen Harzrand. Vor allem unter Graf Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode – regierte von 1714 bis 1771 – erlebte der Ort eine Blüte. Der Graf ließ zum Beispiel die Orangerie, Lust- und Tiergarten oder ein Waisenhaus bauen. Außerdem modernisierte der Regent Verwaltung und Forstwirtschaft.
Am 29. März 1847 erlebten die Wernigeröder dagegen einen rabenschwarzen Tag. Ein Brand vernichtete zahlreiche Häuser, das Heideviertel brannte fast vollständig ab. Doch die Stadt rappelte sich wieder auf – und gründete am Fürst-Otto-Gymnasium (heute Gerhart-Hauptmann-Gymnasium) eine Gymnasialfeuerwehr. Diese gilt als Vorläufer der heutigen Jugendfeuerwehr. Überhaupt nahm Wernigerode oft eine Pionierrolle ein. Fürst Otto zu Stolberg-Wernigerode (1837 – 1896), Vizekanzler unter Otto von Bismarck, setzte umfassende Sozialreformen um. Die auf Schloss Wernigerode geschaffene „Stolberger Sozialgesetzgebung“ garantierte Arbeitern eine Kranken- und Pensionskasse sowie eine Unfallversicherung. Apropos: Die Burg ließ Fürst Otto über viele Jahre zum heutigen Schloss umbauen.
Wernigerode im Zweiten Weltkrieg
Im 19. Jahrhundert hielt die Industrie Einzug. Vor allem dank dem Anschluss an die Eisenbahn Heudeber-Danstedt. Außerdem besuchten immer mehr Touristen die Stadt. Dann kam der Zweite Weltkrieg. Die Rautal-Werken GmbH fertigte Teile für die Rüstung. Damit wurde Wernigerode ein „Gelegenheitsziel“. Am 22. Februar 1944 flogen in der „Big Week“ B17-Bomber Angriffe, bei denen über 200 Menschen ums Leben kamen. Davon ab wurden viele Gebäude zerstört oder beschädigt. Dennoch entging der Harzort der vollständigen Zerstörung. Dank Oberst Gustav Petri. Der Stadtkommandant verweigerte die Verteidigung der Stadt gegen die anrückenden Amerikaner. So konnte 9. US-Armee Wernigerode am 11. April 1945 quasi kampflos einnehmen. Oberst Petri wurde hingegen am 12. April bei Drei Annen Hohne wegen Befehlsverweigerung von der SS erschossen.
Lange Zeit blieb diese Tat – selbst in der DDR – unbekannt bzw. unbeachtet. Heute jedoch ehrt man Petri als „Retter von Wernigerode“. Denn diesem Offizier ist es zu verdanken, dass heute überhaupt noch eine Altstadt zu bewundern ist.
Sehenswürdigkeiten von Wernigerode
Apropos: Sehenswürdigkeiten hat die Stadt viele. So rühmt sich die frühere Kreisstadt, eines „der schönsten Rathäuser Deutschlands“ zu besitzen. Das schauen sich immerhin an die zwei Millionen Touristen im Jahr an. Ebenso wie die vielen anderen Sehenswürdigkeiten wie…
- Schloss Wernigerode
- Rathaus Wernigerode
- Schiefe Haus (Museum)
- Haus Gadenstedt
- Kleinstes Haus
- Krummelsche Haus
- Westerntorturm
- Halbschalenturm
- Alte Münze
- Kaiserturm (Armeleuteberg)
- Orangerie
- Haus Preysser
- Lustgarten
- Wildpark Christianental
Dazu locken Museen und Galerien wie…
- Luftfahrtmuseum Wernigerode
- Harzmuseum
- Feuerwehrmuseum
- Schulmuseum (Benzingerode)
- Gutsmühle (Minsleben)
- Galerie im Ersten Stock
- Zentrum-Harzkultur
- Lounge
- Galerie im Antiquariat B
und Kirchen wie…
- St.-Sylvestrie-Kirche
- St.-Johannis-Kirche
- Kreuzkirche
- Liebfrauenkirche (heute Konzerthalle Liebfrauen)
- Theobaldikapelle
- St.-Georgii-Kirche
- St.-Marien-Kirche
- Neuapostolische Kirche
- Christuskirche
- Konkordienkirche
alljährliche Events in Wernigerode
Jahr für Jahr feiert die bunte Stadt am Harz diverse Events, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind. Zum Beispiel…
- Harzquerung (April)
- Walpurgis (30. April)
- Treffen der Jagdstudenten des WJSC (Himmelfahrt)
- Rathausfest samt Tanzturnier und Mitternachtsball (Juni)
- Musikveranstaltung Young Part (am Freitag des Rathausfest)
- Johannisfest (Sommer)
- Wernigeröder Schlossfestspiele (Sommer)
- Neustädter Weintage (Juli)
- Altstadtfest (August)
- Deutschland Cup des Deutschen Schachbundes (Oktober)
- Schokoladenfestival chocolART (Oktober)
- Harz-Gebirgslauf (Oktober)
- Hasseröder Hubertusfest (November)
- Weihnachtsmarkt (Dezember)
Alle zwei Jahre findet außerdem im Juli das Internationale Johannes Brahms Chorfestival & Wettbewerb statt. Im Wechsel zu diesem richtet Wernigerode den Internationalen Klavierwettbewerb aus.
Persönlichkeiten der bunten Stadt am Harz
Berühmte Söhne und Töchter brachte Wernigerode ebenfalls einige hervor. Zum Beispiel Graf Albrecht von Wernigerode (1346 – 1419), 1411 bis 1419 Bischof von Halberstadt. Sowie die Regenten Friedrich von Wernigerode (+ 1338) und Heinrich von Wernigerode (+ 1429). Weitere bekannte Wernigeröder sind…
- Heinrich Ernst zu Stolberg-Wernigerode (1716 – 1778), Domherr, Propst
- Heinrich Friedrich Delius (1720 – 1791), Mediziner
- Christiane Eleonore zu Dohna-Lauck (1723 – 1786), Dichterin, Äbtissin Drübeck
- Christian Gottlieb Kratzenstein (1723 – 1795), Professor, Mitbegründer der physikalischen Medizin
- Martin Heinrich Klaproth (1743 – 1817), Chemiker, Entdecker mehrerer Elemente
- Christian Friedrich zu Stolberg-Wernigerode (1746 – 1824), Regent Wernigerode
- Luise zu Stolberg-Wernigerode (1771 – 1856), Äbtissin Kloster Drübeck
- Henrich zu Stolberg-Wernigerode (1772–1854), Politiker, Gründer Henrichshütte (Hattingen)
- Oscar Boeters (1848 – 1912), Konteradmiral, Chemiker
- Christian-Ernst Fürst zu Stolberg-Wernigerode (1864 – 1940), Chef Haus Stolberg-Wernigerode
- Sophie Gallwitz (1873 – 1948), Schriftstellerin
- Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode (1893 – 1984), Historiker, Professor
- Max-Eckart Wolff (1902 – 1988), Flottillenadmiral (Bundesmarine)
- Rolf Hermichen (1918 – 2014), Jagdpilot (Zweiter Weltkrieg)
- Heinz Hildebrandt (1921 – 2003), Landtagsabgeordneter (FDP)
- Paul Berke-Müller (1928 – 1984), Leiter LKA Niedersachsen
- Eckart Friedrichson (1930 – 1976), DDR-Schauspieler (Meister Nadelöhr)
- Waldtraut Lewin (1937 – 2017), Schriftstellerin, Regisseurin
- Gerd Peter Werner (1938 – 2019), Politiker (Bündnis 90/Die Grünen)
- Manfred Preiß (* 1939), Minister (DDR)
- Ilona Kühne (* 1941), Ärztin, Politikerin (FDP)
- Peter-Uwe Witt (* 1942), Schauspieler, Kommunalpolitiker
- Barbara Beuys (* 1943), Schriftstellerin, Historikerin, Journalistin
- Matthias Grimm (1943 – 2020), Schauspieler, Synchronsprecher, Dialogregisseur
- Monika Hauff (* 1944), Sängerin (Hauff und Henkler)
- Irene Ellenberger (* 1946), Politikerin (SPD), Sozialministerin Thüringen (1994–1999)
- Manfred Wulfert (* 1949), Landtagsabgeordneter (CDU)
- Lutz Stolberg (* 1964), Musikjournalist, Radiomoderator
- Guido Fulst (* 1970), Weltmeister Radsport
- Michael Preuß (* 1984), Fußballspieler
- Christopher Grotheer (* 1992), Olympiasieger
- Elias Löder (* 2000), Fußballspieler
Verkehrsanbindung von Wernigerode
Die Stadt am nördlichen Harzrand liegt direkt an der B6 bzw. heutigen A36 (Braunschweig – Bernburg (Saale)). Anschlüsse gibt es mit Wernigerode-Nord sowie Wernigerode-Zentrum gleich zwei. Durch Wernigerode verläuft außerdem die B244, die über 157 km von Dedelstorf (Niedersachsen) bis Elbingerode führt.
Per Bahn ist der Ort über die Strecke Heudeber – Danstedt – Bad Harzburg erreichbar. Somit aus Richtung Goslar, Halle und Magdeburg. Davon ab ist Wernigerode Endstation der Harzer Schmalspurbahnen. Ab hier könnt ihr mit der Harzquerbahn über den Harz dampfen. Oder – per Anschluss in Drei Annen Hohne – mit der Brockenbahn den Brocken hinauf. Per Bus ist Wernigerode mit Blankenburg, Thale, Quedlinburg, Derenburg, Halberstadt, Benneckenstein, Elbingerode, Hasselfelde, Schierke, Braunlage und vielen kleineren Harzorten verbunden.
Stand 12/2023 leben in der bunten Stadt am Harz übrigens rund 32.000 Einwohner. Die Kernstadt umfasst neben Altstadt und Neustadt auch die „neueren“ Stadtteile Hasserode (seit 1907) sowie Nöschenrode (1929). In den 1990ern und 2000ern wurden außerdem
- Benzingerode
- Minsleben
- Silstedt
- Schierke und
- Reddeber
eingemeindet.